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Grundrechte-Report 2002

Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland

hrsg. von Till Müller-Heidelberg, Ulrich Finckh, Elke Steven, Jens Neubert, Jürgen Micksch, Wolfgang Kaleck, Martin Kutscha
Redaktion: Katharina Ahrendts, Ulrich Finckh, Jens Neubert, Constanze Oehlrich, Marei Pelzer, Bela Rogalla, Jürgen Seifert, Stefan Soost, Eckart Spoo und Elke Steven
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2002, ISBN 3-499-23058-5, 271 Seiten, 9.90 €

 

Maren Bedau

Ein Ende der Rechtlosigkeit? Zur Anerkennung von Prostitution als Beruf

Grundrechte-Report 2002, S. 164-168

Seit einigen Jahren verzeichnen Sendungen wie «Wa(h)re Liebe» oder «Liebe Sünde» hohe Einschaltquoten. Auch in nachmittäglichen Talkrunden wird regelmäßig über alle Facetten sexueller Praktiken diskutiert. Das mediale Zelebrieren von bezahltem Sex ist kein Tabubruch mehr, Prostitution steht als gesellschaftliches Phänomen längst nicht mehr in der Schmuddelecke. Es deutet vieles darauf hin, dass sich die Wertvorstellungen der Bevölkerung geändert haben: So sprachen sich in einer dimap-Umfrage von 1999 mehr als zwei Drittel der Befragten für eine rechtliche Anerkennung der Prostitution aus. Die jüngsten Schritte der Gesetzgebung zeigen jedoch, dass diese Enttabuisierung von Prostitution (noch) nicht zu einer umfassenden rechtlichen Gleichstellung geführt hat.

Ein Blick auf die Rechtslage

Prostitution wird oft als «ältestes Gewerbe der Welt» bezeichnet, doch es findet sich in keinem Handelsregister. Die Sexindustrie, in der etwa 400000 Personen als Prostituierte arbeiten, macht Schätzungen zufolge zwölf Milliarden Mark Umsatz im Jahr. Prostitution ist zwar nicht strafbar, Prostituierte können ihren Lohn aber nicht gerichtlich einklagen. Für den Fiskus ist Sexarbeit dagegen eine Steuerquelle wie jeder andere Job auch. Angesichts dieser Schieflage bestreitet fast niemand Reformbedarf. Fast alle lehnen aber die Anerkennung als Beruf ab.

Das Verfassungsrecht steht Verträgen über sexuelle Dienstleistungen grundsätzlich nicht entgegen, denn die sexuelle Selbstbestimmung umfasst auch das Recht, sexuelle Handlungen vorzunehmen, zu versprechen oder vornehmen zu lassen. Ein Grundproblem bildet jedoch die Frage, ob Prostitution als Beruf im Sinne von Art. 12 GG anzuerkennen ist. Unter Verweis auf eine grundlegende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1965 wird der Prostitution in der traditionellen Rechtsprechung wegen der ihr zugeschriebenen Sozialschädlichkeit Berufsqualität abgesprochen. Die Reglementierung der Prostitution wird gerne, dies zeigen etwa die «Peep-Show-Urteile», mit dem Schutz der nicht zur individuellen Disposition stehenden Menschenwürde der Frau gerechtfertigt (vgl. zuletzt BVerwG GewArch 1990, S. 212ff.).

Doch es gibt inzwischen auch neue Impulse aus der Rechtsprechung, die Rechtslage von Prostituierten zu überdenken. In einem Aufsehen erregenden Urteil, das sich mit der Entziehung der Gaststättenerlaubnis eines so genannten Anbahnungslokals, dem Berliner «Café Pssst», auseinander setzte, hielt die 35. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin fest, dass der Staat die Menschenwürde der Prostituierten schützen und nicht als Argu ment zur Bevormundung nutzen solle (Urteil vom 1. Dezember 2000, in: Streit 2001, S. 11ff.). Nach Befragung von rund 50 gesellschaftlich anerkannten Vereinen, Verbänden, Feministinnen und Kriminologen kam das Gericht zu folgendem Ergebnis: «Prostitution, die von Erwachsenen freiwillig und ohne kriminelle Begleiterscheinungen ausgeübt wird, ist nach den heute anerkannten sozialethischen Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft – unabhängig von der moralischen Beurteilung – im Sinne des Ordnungsrechts nicht (mehr) als sittenwidrig anzusehen. » Damit ist das Verdikt der Sittenwidrigkeit ins Wanken geraten, mit dem seit rund hundert Jahren Prostitution als Verstoß gegen «das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden» in den rechtsfreien Raum verwiesen wird.

Einen weiteren Impuls gab die Anwendung von europäischem Gemeinschaftsrecht durch das Verwaltungsgericht Mannheim. Nach seiner Ansicht kann sich auch eine Prostituierte auf die gemeinschaftsrechtliche Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 39 und 43 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft berufen, da es sich nicht um eine verbotene, insbesondere nicht um eine strafbare Tätigkeit handele (Urteil vom 19. April 2000, in: NVwBlBW 2001, S. 25ff.).

Soziale Absicherung ja, Berufsfreiheit nein

Hinter dieser Entwicklung der Rechtsprechung wollte die rotgrüne Bundesregierung nicht zurückstehen. Bereits im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten zu verbessern. Doch erst nach internen Streitigkeiten mit Justizministerin Däubler-Gmelin, die das repressive schwedische Modell der Strafbarkeit von Freiern favo risiert hatte, gelang es Familienministerin Bergmann, im August 1999 einen ersten Gesetzesentwurf vorzustellen, der jedoch nach einem moralischen Aufschrei (nicht nur) aus der konservativen Opposition schnell wieder zur internen Überarbeitung zurückgezogen wurde. Erst im Mai 2001 setzte die Bundesregierung das Thema Prostitution erneut auf die Tagesordnung. Zwei Barrieren sollten fallen: Das Anbieten einer sexuellen Dienstleistung sollte nicht länger sittenwidrig sein. Damit würde der Weg in den sozialrechtlichen Versicherungsschutz eröffnet, da Prostituierte weder von Krankenversicherungen, noch in der Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aufgenommen werden. Zweitens sollte der Teil des Straftatbestandes der «Förderung der Prostitution» ( § 180a Abs. 1 Ziff. 2 StGB) abgeschafft werden, der bereits das Bereitlegen von Kondomen und frischer Wäsche unter Strafe stellt. Der Gesetzgeber stolperte jedoch über den eigenen Kleinmut. Anders als in den ursprünglichen Plänen von Ministerin Bergmann und den Grünen vorgesehen, konnte sich die Koalition nicht dazu durchringen, Huren künftig normale Arbeitsverträge abschließen zu lassen. Um den moralischen Bedenken aus der SPD-Fraktion Rechnung zu tragen, blieben zudem mehrere Sondergesetze für Prostituierte unberührt. Der dickste Stolperstein war die Beibehaltung des § 181a StGB. So rügte der Frankfurter Verein Dona Carmen die rotgrüne Reform des Prostituiertengesetzes als «Mogelpackung ». Die Beibehaltung der Strafbarkeit der Zuhälterei verhindere, dass Frauen selbstbestimmt einen Puff betreiben können. Eine in anderen Berufen selbstverständliche Weisungsbefugnis des ‹Arbeitgebers› ist nach dem neuen Recht nämlich ausgeschlossen. Die Bestimmung von Ort und Zeit der Sexarbeit bleibt über § 181a StGB strafbedroht.

Das Gesetz passierte im Herbst 2001 zwar den Bundestag, wurde aber im Bundesrat zunächst gestoppt. Die Mehrheit des Bundesrates kritisierte gesetzestechnische Details. Das Gesetz hat dann den Vermittlungsausschuss lediglich mit kleineren Veränderungen überstanden und ist am 1. Januar 2002 in Kraft getreten. Es hat die soziale Situation deutscher bzw. europäischer Prostituierter zwar verbessert, nicht aber zu der erhofften rechtlichen Anerkennung von Prostitution als «normaler Dienstleistung » geführt.

Illegal, also erpressbar

Allerdings hat eine Legalisierung von Sexarbeit ohne Änderungen im Ausländergesetz ausschließende Effekte: Die Hälfte der Prostituierten hat keine Aufenthalts- oder Arbeitspapiere und arbeitet bereits zu schlechteren Bedingungen. Ihnen droht ständig die Abschiebung. Auf Grund der neuen Rechtslage kommt hinzu, dass Illegale nicht länger in der bisherigen Grauzone der Puffs geduldet werden können, wollen diese nicht ihre neue rechtliche Anerkennung wieder aufs Spiel setzen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass selbst die Polizei in der Legalisierung die einzige Chance auf Verbesserung der Situation gehandelter ausländischer Frauen sieht. Dass die Bundesregierung diese Anregungen aufgreifen wird, ist angesichts des gegenwärtigen restriktiven Zuwanderungsdiskurses allerdings nicht zu erwarten.