Grundrechte-Report 2002

Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland

hrsg. von Till Müller-Heidelberg, Ulrich Finckh, Elke Steven, Jens Neubert, Jürgen Micksch, Wolfgang Kaleck, Martin Kutscha
Redaktion: Katharina Ahrendts, Ulrich Finckh, Jens Neubert, Constanze Oehlrich, Marei Pelzer, Bela Rogalla, Jürgen Seifert, Stefan Soost, Eckart Spoo und Elke Steven
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2002, ISBN 3-499-23058-5, 271 Seiten, 9.90 €

 

Oliver Brüchert

Der «elektronisch überwachte Hausarrest» - keine Alternative zur Freiheitsstrafe

Grundrechte-Report 2002, S. 224-230

Noch ist es ruhig um die «elektronische Fußfessel » in Deutschland. Während in Fachkreisen diskutiert wird, ob und in welcher Weise sie sinnvoll einzusetzen sei, wartet die Politik auf die Ergebnisse des ersten Modellversuchs in Hessen, der im Mai 2002 zu Ende gehen wird. Dass dieser Versuch als Erfolg gefeiert werden wird, daran kann schon jetzt kein Zweifel mehr bestehen – auch nicht daran, dass die Diskussion über die Einführung der Fußfessel hierzulande damit enorm an Fahrt gewinnen wird.

 

«Elektronische Fußfessel»

 

Die Fußfessel selbst ist ein System, das es erlaubt, mit geringem (Personal-)Aufwand die An- und Abwesenheit einer Vielzahl von Personen an einem jeweils bestimmten Ort zu überwachen. Neben der Kontrolle von Straftätern wird sie bereits zur Über wachung von Alzheimer-Patienten in Altenpflegeheimen eingesetzt – in Nordamerika auch schon zur Kontrolle von Kindern. Von interessierter Seite herrscht keine Scheu, öffentlich über weitere Verwendungsmöglichkeiten nachzudenken, zum Beispiel zur Überwachung der «üblichen Verdächtigen»: Obdachlose, Asylbewerber, Drogenabhängige – aber auch Personen, die in «sicherheitsrelevanten Bereichen» beschäftigt sind.

 

Als Geräte sind bisher fast ausschließlich so genannte Aktivsysteme im Einsatz: Ein verplombter Sender am Fuß des oder der Überwachten sendet Signale an ein Empfangsgerät, das per Telefon automatisch die Kontrollstelle in Kenntnis setzt, wenn der Sender (und damit der Überwachte) seinen vorbestimmten Aufenthaltsort verlässt. Die Produzenten sind schon einen Schritt weiter und haben so genannte GPS-Systeme zur Marktreife entwickelt, mit denen sich der Aufenthaltsort einer Person jederzeit über Satellitensystem auf wenige Meter genau orten und mit den gespeicherten Vorgaben vergleichen lässt. Und sie preisen sogar Weiterentwicklungen an, die zur direkten «Verhaltenssteuerung » durch automatisch ausgelöste Elektroschocks beitragen sollen.

 

«Elektronisch überwachter Hausarrest»

 

Hier ist weiter zu differenzieren. Im Allgemeinen wird der «elektronisch überwachte Hausarrest» als Alternative zur Gefängnisstrafe diskutiert. In den Ländern, die ihn bereits regulär einsetzen (zum Beispiel die USA, Schweden und Holland), ist das – von der rechtlichen Konstruktion her – auch vorwiegend der Fall. Es sollen kurze Freiheitsstrafen «zu Hause» statt in den (überfüllten) Vollzugsanstalten vollstreckt werden. Insofern stelle der «elektronisch überwachte Hausarrest» eine billigere und menschlichere Alternative zum herkömmlichen Strafvollzug dar, der es den Gefangenen ermögliche, weiter einer regulären Beschäftigung nachzugehen und ihre sozialen Kontakte zu erhalten.

 

Auch in Deutschland argumentieren die Befürworter mit den steigenden Vollzugszahlen und den Kosten, die durch die Vollstreckung in einer Haftanstalt entstehen. Folgerichtig wurde der «elektronisch überwachte Hausarrest» von der Justizministerin zuerst auch zusammen mit anderen alternativen Strafen im Rahmen der sanktionsrechtlichen Reform präsentiert (inzwischen mit Rücksicht auf Bedenken beim grünen Koalitionspartner aber wieder aus dem «Paket» herausgenommen).

 

Ohne die entsprechende gesetzliche Grundlage kann der «elektronisch überwachte Hausarrest» nicht als alternative Hauptstrafe oder besondere Form des Strafvollzugs («Vollzugslösung ») durchgeführt werden, nach herrschender Meinung aber zur Vermeidung von Untersuchungshaft oder im Rahmen der Führungsaufsicht sowie auf dem Wege der Bewährungsweisung. Dem stehen jedoch erhebliche grundrechtliche Bedenken entgegen. Betroffen sind die Menschenwürde und das Recht auf «informationelle Selbstbestimmung» (Art. 1 und 2 GG), die Unverletzlichkeit der Wohnung auf Grund der Nutzung der Privatwohnung als Haftraum (Art. 13), in der zumeist auch Angehörige leben (Art. 6), sowie der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) auf Grund der nötigen Auswahlkriterien (Voraussetzung: Arbeit, Wohnung, Telefon). Dem Modellversuch ohne gesetzliche Regelung steht zudem der Gesetzesvorbehalt entgegen (Art. 19 GG und Art. 104 GG), da es sich um eine freiheitsentziehende Maßnahme handelt.

 

Eine so begründete Beschwerde der Staatsanwaltschaft Saarbrücken wurde am 6. Dezember 2000 allerdings vom Landgericht Frankfurt zurückgewiesen, da die Grundrechtseingriffe durch die (obligatorische) Einwilligung der Betroffenen zu rechtfertigen seien. Diese Rechtsauffassung ist auch im Hinblick auf Verfassungsgerichtsentscheidungen, die ausdrücklich feststellen, dass persönliche Schutz- und Freiheitsrechte Ausdruck einer objektiven Wertordnung sind und nicht frei zur Disposition von Einzelnen stehen, höchst fragwürdig.

 

Der Modellversuch in Hessen

 

Hessen hat als einziges Bundesland ein Modellprojekt gestartet, in dem seit Mai 2000 der «elektronisch überwachte Hausarrest » erprobt wird. In das Modellprojekt werden vor allem Fälle aufgenommen, bei denen auf Grund wiederholter Verstöße ein Widerruf der Bewährung droht, oder Beschuldigte, bei denen so eine Untersuchungshaft vermieden werden soll. Arbeit und Wohnung werden (wenn nicht vorhanden) im Rahmen des Modellversuchs zur Verfügung gestellt. Außerdem werden bei Bedarf umfassende Hilfen geleistet, zum Beispiel Drogentherapien und Schuldenberatungen.

 

Zu einem Modellprojekt gehört selbstredend die Evaluation durch eine unabhängige wissenschaftliche Einrichtung. Das hessische Justizministerium hat mit der Begleitforschung das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg (MPI) beauftragt. In diesem Zusammenhang verwundert es allerdings, wenn als erste größere Fachveröffentlichung zur «Darstellung und Evaluation» ein gemeinsamer Aufsatz des Institutsleiters und des den Modellversuch leitenden Oberstaatsanwaltes im Justizministerium erscheint (Albrecht /Arnold/ Schädler, ZRP 11/ 2000, S. 466ff.). Von einer unabhängigen Forschung kann also nicht ausgegangen werden. Entsprechend fällt die Beurteilung des Experiments be reits im November 2000 sehr positiv aus – obwohl explizit darauf hingewiesen wird, dass die Ergebnisse der Evaluation noch bis ins Jahr 2003 auf sich warten lassen werden.

 

Auch die artikulierte Skepsis der Bewährungshilfe versucht man frühzeitig in den Griff zu bekommen. Die Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter werden eigens für den Versuch auf ABM-Stellen beschäftigt. Nun werden einerseits die Probanden aus einer für die Sozialarbeiter schwierigen Klientel rekrutiert (häufige Verstöße gegen Bewährungsauflagen), andererseits wird ein gegenüber den üblichen Bedingungen traumhaftes Betreuungsverhältnis von etwa fünf bis zehn «Fällen » pro Bewährungshelfer flankiert durch umfassende Hilfsmöglichkeiten und die technische Kontrolle des «Wochenplans» per Fußfessel. Wenn Erfolg und Aufwand in einem so guten Verhältnis stehen, kann Sozialarbeit richtig Spaß machen. Dennoch überwiegt aufseiten der Bewährungshilfe nach wie vor die Skepsis, wie auch der aktuelle Zwischenbericht des MPI (http://www.iuscrim. mpg.de / forsch /krim/mayer.html) anhand der Auswertung einer Umfrage feststellt.

 

Schließlich wurde auch bezogen auf die Probandinnen und Probanden alles getan, den Erfolg des Projektes sicherzustellen: Allein durch die strenge zahlenmäßige Begrenzung (auf höchstens 30 gleichzeitig im Modellversuch befindliche Probanden) wurde die Auswahl quasi «naturwüchsig » so vorgenommen, dass nur die «guten Risiken» («sozial integrierte Täter»; «Diebstahl, Drogen- und Straßenverkehrsdelikte») es in den Modellversuch schaffen. Die außergewöhnlichen Hilfsangebote, die man außerhalb des Modellprojekts in der Bewährungshilfe vergeblich sucht, tragen dazu bei, dass bis Mai 2001 alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die vorher arbeitslos waren, in Arbeit vermittelt werden konnten (und zwar häufig auf dem «ersten Arbeitsmarkt»).

 

Ob und welchen Anteil die elektronische Überwachung an dieser beeindruckenden Erfolgsbilanz hat, darüber lässt sich nur spekulieren, da man keine Vergleichsgruppe finden wird, die unter auch nur annähernd ähnlichen Bedingungen ihre Bewährung absolviert.

 

Alternativen zur Freiheitsstrafe

 

Die Zahl der in Deutschland verhängten und vollstreckten Freiheitsstrafen nimmt kontinuierlich zu. Gerade bei den kurzen Strafen hat die Ersatzfreiheitsstrafe (wenn jemand eine Geldstrafe nicht zahlen kann) einen hohen Anteil. Das führt nicht nur zu überfüllten Gefängnissen, höheren Kosten und entsprechend miserablen Haftbedingungen, es handelt sich schlicht um eine völlig unnötige und unsinnige Verschärfung von sozialem Ausschluss.

 

Zur Haftvermeidung gibt es eine Vielzahl etablierter, besserer und wesentlich eingriffsschwächerer Alternativen: Diversion, Täter-Opfer-Ausgleich, Entkriminalisierung von Bagatell- und Drogendelikten, um nur ein paar zu nennen. Der «elektronisch überwachte Hausarrest» wäre selbst für den Fall, dass dadurch tatsächlich eine ansonsten vollstreckte Freiheitsstrafe oder Untersuchungshaft vermieden würde, die schlechteste Alternative.

 

Nimmt man hinzu, dass kurze Freiheitsstrafen im deutschen Strafrecht – anders als in den USA oder in Schweden – in der Regel nicht vollstreckt werden, ergibt sich zwangsläufig ein «netwidening », werden also Menschen unter «elektronischen Hausarrest » gestellt, denen sonst gar kein Freiheitsentzug gedroht hätte. Der hessische Modellversuch zeigt bereits, dass die Fußfessel vor allem im Rahmen der Bewährung und der so genann ten «Führungsaufsicht » zusätzlich nach der regulären Haft eingesetzt werden wird.

 

Der «elektronisch überwachte Hausarrest» ist eine kriminalpolitisch nutzlose und verfassungsrechtlich abzulehnende Form, die massenhafte Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen erneut auszuweiten, statt endlich die vorhandenen Möglichkeiten zur Hilfe und wahrhafte Alternativen zur Strafe voranzubringen.