Grundrechte-Report 1998

Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland

hrsg. von Till Müller-Heidelberg, Ulrich Finckh, Wolf-Dieter Narr, Marei Pelzer
Redaktion: Paul Ciupke, Norbert Reichling, Jürgen Seifert, Stefan Soost und Eckart Spoo
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 1998, ISBN 3-499-22337-6, 320 Seiten, 14.90 DM
 

Ulrich Finckh

Wer darf noch Ausländer einladen?

Grundrechte-Report 1998, S. 101-102

Es ist noch nicht lange her, daß US-Präsident Ronald Reagan in Berlin vor dem Brandenburger Tor ausrief: "Mister Gorbatschow, machen Sie das Tor auf!" Heute ist das Tor offen - aber nur für Deutsche, Westeuropäer und wenige andere. Als ich vor kurzem für eine internationale Tagung einen russischen Referenten einladen wollte, ging es um die Organisierung der Einreise. Wer aus Rußland kommt, braucht, wie aus vielen anderen Staaten, ein Visum. Das bekommt er aber als noch so begehrter Referent nicht. Er muß eine persönliche Einladung vorweisen, und diese muß von jemandem stammen, der für ihn bürgt und haftet. Das Einwohnermeldeamt hält dafür die Formulare bereit. Ich mußte als Vorsitzender des einladenden Vereins also plötzlich privat haften für alles, was sich aus der Einladung ergab: für seine eventuellen Krankheitskosten, von ihm womöglich verursachte Schäden, eventuell längeren Aufenthalt, seine planmäßige Rückreise, notfalls die zwangsweise Abschiebung - nicht etwa nur, wie es für jeden Gastgeber selbstverständlich ist, für Unterbringung und Bewirtung. Und das Einwohnermeldeamt hatte obendrein zu prüfen, ob ich wirtschaftlich dazu in der Lage bin, diese Haftung zu übernehmen.

Ich konnte und durfte die Haftung übernehmen, die eigentlich gar nicht so schlimm ist - wenn man für den Gast eine Versicherung abschließt. Aber so einfach ist das gar nicht. Man muß nämlich selbst in der Lage sein, notfalls alle Kosten zu tragen.

Was bedeutet das für einen ausländischen Studenten, den Angehörige besuchen wollen? Oder für arbeitslose Ausländer, die zu einem Familienfest Verwandte oder Bekannte aus ihrer Heimat einladen möchten? Oder für Aussiedler, die zurückgebliebene Verwandte mal zu einem Besuch herholen wollen? Ihre Finanzkraft reicht nicht, da ist es leider nichts mit der Verständigung über Grenzen hinweg, nichts mit dem Schutz der Familie (Art. 6 GG), nichts mit dem Frieden der Welt (Präambel GG). Da gilt nur noch: Ausländer, draußen bleiben! Das klingt in meinen Ohren bitter und böse, denn es erinnert an Parolen, von denen unser Land sich offiziell längst losgesagt hat.

Inzwischen ist der Erlaß geändert und zum Teil noch verschärft worden. Eine Krankenversicherung wird jetzt nicht nur akzeptiert, sondern muß nachgewiesen werden. Die Bearbeitungsgebühr (DM 10,00) und die Krankenversicherung (unterschiedlich je nach Dauer und Versicherungsgesellschaft) müssen im voraus bezahlt werden, und zwar unabhängig davon, ob das Visum erteilt wird. Beantragt werden kann das Visum nur mit der "Verpflichtungserklärung", die zum Beispiel in Bremen (Hafenstadt mit 600000 Einwohnern) nur an einer einzigen Stelle ausgefüllt werden kann. Die Formulare werden nicht mehr ausgegeben, sondern müssen an Ort und Stelle im Stadtamt ausgefüllt werden - langes Warten ist unvermeidlich. Wenn Institutionen jemanden einladen wollen, muß der Antragsteller nicht nur sich selbst ausweisen, sondern auch mit der Bescheinigung des Handels- und Vereinsregisters nachweisen, daß er für die Institution vertretungsberechtigt ist. Ich müßte jetzt also nicht mehr persönlich haften, dafür aber den Auszug aus dem Vereinsregister und das Protokoll unseres Vorstandes über den Einladungsbeschluß mitbringen. Wie die Bonitätsprüfung bei Institutionen aussieht, habe ich noch nicht in Erfahrung gebracht. Bei Privatpersonen bedeutet sie nach mündlicher Auskunft, daß für jeden Einzuladenden monatlich 500 Mark freies Geld nachgewiesen werden muß (oder entsprechendes Vermögen).

Interessant ist die aktuelle Liste der Staaten, bei denen für ein Visum eine Garantie übernommen werden muß. Die Volksrepublik China etwa gehört nicht dazu; aber neben vielen afrikanischen und asiatischen Staaten auch diese aus der Nachbarschaft: Armenien, Bulgarien, Georgien, BR Jugoslawien, Kasachstan, Rumänien, Rußland, Türkei, Tunesien, Ukraine und Weißrußland.