Grundrechte-Report 1997

Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland

hrsg. von Till Müller-Heidelberg, Ulrich Finckh, Wolf-Dieter Narr und Marei Pelzer
Redaktion: Paul Ciupke, Norbert Reichling, Jürgen Seifert und Eckart Spoo
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1997, ISBN 3-499-22124-1, 247 Seiten, 14,90 DM

 

Paul V. Bedick

Überwachung ohne Grenzen. Ausländer in der Bundesrepublik: Diskriminiert durch politische Ignoranz und gesetzliche Regelungen

Grundrechte-Report 1997, S. 45-52

Es kennzeichnet die durch konservativ-nationales Denken geprägte Ausländerpolitik der vergangenen Jahre, daß sie verfassungswidrige Regelungen nicht beseitigt, ja geschaffen hat. Darüber hinaus werden völkerrechtliche Verträge verletzt, aus denen für Ausländer günstige Rechtspositionen abgeleitet werden können. Das wichtigste Instrument, mit dem Ausländer (insbesondere aus Drittstaaten) in rechtlicher Deklassierung gehalten werden, ist das seit 1.Januar 1991 geltende Ausländergesetz. Sein raffiniertes und undurchsichtiges Geflecht von weiten und unbestimmten Vorschriften öffnet in rechtsstaatlich bedenklicher Weise Willkürentscheidungen Tür und Tor. Und es schränkt bezeichnenderweise den Rechtsschutz gegen ausländerbehördliche Maßnahmen stark ein.

Die Überwachungsvorschriften dieses Ausländergesetzes ( § § 75ff AuslG) ermöglichen die nahezu unbeschränkte Erfassung von Daten ausländischer Staatsbürger durch die Ausländerbehörde und legen darüber hinaus sogar anderen öffentlichen Stellen eine weitgehende Pflicht zur Übermittlung von Daten auf. Diese Regelungen stehen weder mit dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) noch mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art 2 Abs. 1 GG) in Einklang.

Auch die Regelungen des Staatsangehörigkeitsrechts - dessen Grundlagen noch aus dem Jahre 1913 stammen - sind verfassungsrechtlich nicht haltbar. Die Pflicht, eine andere Staatsangehörigkeit aufzugeben, um die deutsche erwerben zu können ( § § 85, 86ff AuslG), übt einen Zwang zur Assimilierung aus und greift im übrigen in die unantastbare Sphäre individueller Selbstbestimmung ein. Sie steht daher nicht im Einklang mit der höchsten Pflicht staatlichen Handelns, die Menschenwürde zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 GG). Daß die Regeleinbürgerung zudem auf Menschen zwischen dem vollendeten 16. und dem noch nicht vollendeten 23. Lebensjahr beschränkt bleibt, ist darüber hinaus nicht mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar, denn sachliche Gründe sind für diese zeitliche Einengung nicht ersichtlich. Besonders problematisch ist im übrigen das hartnäckige Festhalten am Grundsatz des ius sanguinis. Im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts besteht also ein dringender gesetzlicher Handlungsbedarf.

Die Bundesrepublik Deutschland tritt auf internationaler Ebene als Verfechter und Wahrer der Menschenrechte auf. Gleichzeitig ist sie aber darauf bedacht, daß rechtliche Besserstellungen der im Bundesgebiet lebenden Ausländer, die sich aus internationalen Verträgen ergeben können, im Ergebnis nur auf dem Papier stehen. So hat die Bundesrepublik die UN-Konvention über die Rechte des Kindes vom 20.November 1989 ratifiziert. Sie gilt als progressivster, detailliertester und spezifischster Menschenrechtsvertrag, der jemals von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen angenommen wurde. Für die Bundesrepublik Deutschland ist diese Konvention am 5.April 1992 in Kraft getreten. Artikel 3 dieser Konvention schreibt vor, daß das Wohl des Kindes vorrangige Richtschnur aller Maßnahmen sein muß, gleich, ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, von Gerichten, von Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden.

Die Bundesregierung hat sich veranlaßt gesehen, die Niederlegung der Ratifikationsurkunde mit der Erklärung zu verbinden, sie gehe davon aus, daß keine Bestimmung der Konvention das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränke, Gesetze und Verordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthaltes zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen. Diese Erklärung ist zwar nach zutreffender Auffassung einiger bundesdeutscher Gerichte rechtlich nicht relevant, weil sie keinen förmlichen Vorbehalt darstellt. Doch hat sie gleichwohl die Auswirkung, daß die UN-Kinderkonvention in der Praxis der Verwaltung oftmals unbeachtet bleibt. Dies läßt sich zum Beispiel Ausführungen in einer Entscheidung des Amtsgerichtes Hamburg-Harburg vom 22.Februar 1994 entnehmen, das als Vormundschaftsgericht mit der Abschiebung eines achtjährigen Kindes in das ehemalige Jugoslawien befaßt wurde:

"Das Gericht ist erstaunt, ja geradezu entsetzt über Inhalt und Diktion der Entscheidungen der Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichtes. Diese können zusammenfassend nur als unbarmherzig und zynisch bezeichnet werden und als unwürdig für einen Rechtsstaat, der sich, wie die Bundesrepublik Deutschland, immer wieder rühmt, humanitären Grundsätzen verpflichtet zu sein. Die Entscheidungen der Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichtes scheinen nicht von irgendwelchen humanitären Grundsätzen getragen oder auch nur wenigstens irgendwie beeinflußt worden zu sein" (InfAulR 1994, 237/238).

Ein anderes Beispiel dafür, wie es die Bundesrepublik Deutschland in diesem Zusammenhang mit internationalen Verpflichtungen hält, gibt ihr Umgang mit dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) vom 7.März 1966. Durch Beitritt zu diesem Übereinkommen hat sich die Bundesrepublik verpflichtet, alle geeigneten Mittel zu ergreifen, um derartige Diskriminierungen zu verhindern. Dies schließt auch die Pflicht zum Erlaß der dazu nötigen Rechtsvorschriften ein. Die Forderungen nach Einführung eines Antidiskriminierungsgesetzes oder von Antidiskriminierungsregelungen in geltenden Einzelgesetzen wurden jedoch bis heute nicht erfüllt.

Ein besonderes Problem sind die Beziehungen zwischen der ausländischen Bevölkerung und der Polizei. Als die Aktion Courage e. V. - SOS Rassismus 1993 die Ergebnisse ihrer Untersuchung über Polizeiübergriffe in der Bundesrepublik Deutschland veröffentlichte, lagen die Reaktionen zwischen ungläubigem Staunen und heftiger Ablehnung. Die Erkenntnis, daß es Mißhandlungen durch Polizeibeamte mit rassistischem Hintergrund gegeben hat und daß es in Teilen der Polizei rechtsradikale Einstellungen gibt, gilt heute als gesichertes Wissen. Sie wird durch neue Studien der Aktion Courage e. V. - SOS Rassismus vom Dezember 1996 und von amnesty international vom Februar 1996 bestätigt. Und der parlamentarische Untersuchungsausschuß zum Hamburger Polizeiskandal, der nach zwei Jahren Arbeit im November 1996 trotz einer Mauer des Schweigens den bisher umfangreichsten Bericht erbracht hat, kommt zu dem Ergebnis, daß "hinsichtlich der Häufigkeit von Mißhandlungen nicht von Einzelfällen weniger 'schwarzer Schafe' gesprochen werden" kann. Er war nach dem Rücktritt des damaligen Hamburger Innensenators eingesetzt worden, um den Vorwürfen gegen Hamburger Polizeibeamte wegen rassistischer Aktivitäten und Mißhandlungen nachzugehen.

Seit Beginn der rechtsradikalen Gewaltwelle in Deutschland ist im übrigen ein auffallender Unwille bei Strafverfolgungsbehörden und Gerichten erkennbar, Straftaten, deren Opfer Ausländer sind, mit der gebotenen Gründlichkeit zu verfolgen, angemessen zu ahnden und die Schutzpflicht in bezug auf das Leben und die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) der ausländischen Bevölkerung zu erfüllen. Schlampige und lustlose Ermittlungen sowie milde Urteile haben dem Vorwurf, Strafverfolgungsbehörden und Justiz seien auf dem rechten Auge blind, immer wieder Nahrung gegeben.

Erst in jüngster Zeit ergangene Entscheidungen wecken die Hoffnung, daß konsequente Strafverfolgung und angemessene Strafen in Fällen mit Rechtsradikalen als Tätern und Ausländern als Opfern nicht einer anderen Welt angehören.