Grundrechte-Report 1997

Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland

hrsg. von Till Müller-Heidelberg, Ulrich Finckh, Wolf-Dieter Narr und Marei Pelzer
Redaktion: Paul Ciupke, Norbert Reichling, Jürgen Seifert und Eckart Spoo
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1997, ISBN 3-499-22124-1, 247 Seiten, 14,90 DM

 

Volker Beck

"Schwule und Lesben müssen leider draußen bleiben!" - Warum ein Grundrecht nicht für alle gilt

Grundrechte-Report 1997, S. 52-56

Am 19.August 1992 stürmten 250 schwule und lesbische Paare in einer bundesweiten Aktion die Standesämter, um für sich das Aufgebot zu bestellen. Sie verlangten die Verwirklichung von zwei in unserer Verfassung verbrieften Grundrechten: die Gleichheit vor dem Gesetz und das Recht auf Eheschließung mit dem selbstgewählten Partner. Die Aktion war eine Sensation. Die Medien stürzten sich dankbar auf die scheinbare Mesalliance von Homosexualität und bürgerlicher Ehe. Ans Licht der Öffentlichkeit trat aber ein recht neues Bild von Schwulen und Lesben: selbstbewußte Bürgerinnen und Bürger, die erhobenen Hauptes für ihre Gleichberechtigung streiten, durchaus unspektakuläre Einblicke in den Alltag schwuler und lesbischer Lebensgemeinschaften und umfangreiche rechtliche Benachteiligungen, denen sich gleichgeschlechtliche Paare in unserer Gesellschaft und Rechtsordnung gegenübersehen.

Beim Standesbeamten holten sich die Paare eine Abfuhr. Daher machten sie sich auf den Rechtsweg nach Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht traf eine Entscheidung, die alles offenläßt: Es verpflichtete weder die Standesbeamten noch den Gesetzgeber, den Paaren die Ehe zu gestatten. Es hätten der Klage die "hinreichenden Anhaltspunkte für einen grundlegenden Wandel des Eheverständnisses" gefehlt. Deshalb sei der Gesetzgeber auch nicht "verpflichtet", die "Ehe für gleichgeschlechtliche Partner" zu öffnen. Er könne dem Recht auf Handlungsfreiheit und Gleichbehandlung "auch auf andere Weise als dadurch Rechnung tragen". Ziemlich deutlich macht das Gericht, daß der Gesetzgeber aber wahrscheinlich "verpflichtet sei, gleichgeschlechtlichen Partnern eine rechtliche Absicherung ihrer Lebensgemeinschaften zu ermöglichen".

Damit hat das Bundesverfassungsgericht den Ball nach Bonn zurückgespielt und dem Gesetzgeber den vollen Spielraum von der Öffnung der Ehe bis zu einzelnen Gesetzesänderungen gelassen. Es ist mit seiner vornehmen Zurückhaltung einem Postulat seiner schärfsten Bonner Kritiker nachgekommen. Ob die Legislative nun mit den vom obersten deutschen Gericht zugestandenen Gestaltungsmöglichkeiten etwas anzufangen weiß?

CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble meint, es bestehe "kein Interesse der Gemeinschaft daran, diese Beziehungsform unter den besonderen Schutz des Rechtes zu stellen". Grundrechte werden demnach also nur nach dem Interesse der Gemeinschaft gewährt, und aus der werden Schwule und Lesben erst einmal ausgebürgert. Das Nein der Christdemokraten zu Schwulen und Lesben auf dem Standesamt ist vor dem Hintergrund ihres familienpolitischen Offenbarungseides beim Sparpaket offenkundig das letzte Markenzeichen konservativer Familienpolitik, das um so hartnäckiger verteidigt wird.

Jedoch verliert die Position der Union in der Bevölkerung immer mehr an Rückhalt. Hatte 1993 erst jeder dritte Bundesbürger in Meinungsumfragen der Schwulenehe sein Jawort gegeben, befürwortete im Sommer 1996 dank der Kampagne des Schwulenverbandes und vieler örtlicher Initiativen schon eine Mehrheit das Eheschließungsrecht für schwule und lesbische Paare.

Die geistige Immobilität der Bonner Politik, der Stimmungsumschwung in der Bevölkerung und die Last der Rechtsprobleme erhöhen den Druck auf die Gerichte. Neben Fragen des Angehörigenstatus oder des Erb- und Erbschaftssteuerrechtes sind die unlösbaren Rechtsprobleme gleichgeschlechtlicher binationaler Lebensgemeinschaften besonders drängend.

 

Durchbruch vor Gericht

1996 gelang hier ein Durchbruch. Gleich zwei Gerichte, das Bundesverwaltungsgericht und das OVG Münster, machten für gleichgeschlechtliche binationale Paare das Tor einen Spaltbreit auf. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Ausländerbehörden einen Ermessensspielraum für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an den ausländischen Lebenspartner einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft eingeräumt.

Das OVG Münster ging einen Schritt weiter. Es hat die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, einem rumänischen Staatsbürger ein Visum zur Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft mit seinem deutschen Partner zu erteilen. Das OVG Münster stellte fest: Der Aufenthaltszweck der Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft fällt in den Schutzbereich des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention. "An dem Schutz und der Verwirklichung des durch diese Normen gewährleisteten Persönlichkeitsrechts besteht ein ganz erhebliches privates Interesse. Darüber hinaus liegt die Wahrung der Grundrechte auch im öffentlichen Interesse."

Die beiden Männer hatten sich Anfang der 90er Jahre kennengelernt. Seit 1993 bemühten sie sich um eine Aufenthaltserlaubnis für den ausländischen Partner. Im Urteil wurde festgestellt, daß die Lebensgemeinschaft zumutbarerweise nur in der Bundesrepublik geführt werden kann, da sich hier die wirtschaftliche Existenzgrundlage des deutschen Partners befinde. Zudem käme Rumänien als anderer Lebensmittelpunkt wegen der dortigen homosexuellenfeindlichen Rechtslage nicht in Betracht. Die Verweigerung eines Visums würde die Lebensgemeinschaft auf Dauer unmöglich machen und damit einen nachhaltigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, die Menschenwürde und das Recht auf Achtung des Privatlebens darstellen.

Eine besondere Ohrfeige erteilte das Gericht dem Auswärtigen Amt. Von dort aus hatte man bis zuletzt gegen eine Visum-Erteilung gekämpft, mit der Begründung, davon würde eine "Präzedenzwirkung" ausgehen. Dem hat das OVG unmißverständlich entgegengehalten, daß hier "gewichtige private Belange" vorliegen, "die mit Blick auf ihre verfassungs- und menschenrechtliche Fundierung zugleich eine öffentliche Dimension haben". Daher könne ein Visum nicht deshalb versagt werden, "weil andere Ausländer in gleicher Situation ebenfalls ein Visum beanspruchen könnten". Dem Urteil des OVG Münster kommt über den Einzelfall hinaus große Bedeutung zu, da das Gericht für Visa-Angelegenheit bundesweit in zweiter Instanz allein zuständig ist.

Jetzt muß die Politik tätig werden. Das Auswärtige Amt muß seine Politik revidieren. Der Schwulenverband hat die Innenminister der Länder aufgefordert, die Ausländerbehörden per Erlaß anzuweisen, der neuen Rechtsprechung für homosexuelle Lebensgemeinschaften Rechnung zu tragen.

 

Bürgerrechtsbewegung für ein Antidiskriminierungsgesetz

Das Münsteraner Gericht hat einen Meilenstein auf dem Weg zur Durchsetzung gleicher Bürgerrechte für Schwule und Lesben gesetzt. Es hat der Bonner Regierung unmißverständlich ins Stammbuch geschrieben, daß ihre Politik gegenüber homosexuellen Paaren die Menschenrechte der Betroffenen mißachtet. Ohne die Aktion Standesamt wäre der Wandel in der Rechtsprechung nicht möglich gewesen, und ohne einen mutigen Akt der Gesetzgebung werden die Rechtsprobleme homosexueller Lebensgemeinschaften trotz der Fortschritte in einzelnen Bereichen nicht umfassend gelöst.

Bei der Durchsetzung von gleichen Rechten für Schwule und Lesben, aber auch für Migrantinnen und Migranten oder von Behinderten gibt es im kodifizierten Recht und in der Rechtsprechung noch ungeheure Defizite: Ausländer dürfen nicht Beamte werden, Gehörlose, sogenannte Taubstumme, haben kein Recht, vor Gericht in der mündlichen Verhandlung vorzutragen, und Schwule dürfen in der Bundeswehr nicht Offizier werden. Darüber hinaus schützt unsere Rechtsordnung mit ihrer umfassenden Vertragsfreiheit Angehörige von Minderheiten im Alltag nicht einmal vor vorsätzlichen und offensichtlichen Diskriminierungen. Deutschland 1996: Behinderte, die aus einer Gaststätte fliegen, Ausländer, die keinen Kfz-Versicherer finden, oder Schwule und Lesben, die oftmals auf dem Wohnungsmarkt das Nachsehen haben. Ein Antidiskriminierungsgesetz, das bestehende rechtliche Benachteiligungen beseitigt, Diskriminierungen im Zivilrecht untersagt und die Opfer von Benachteiligungen und Anfeindungen mit Schadenersatz- und Unterlassungsansprüchen ausstattet, ist längst überfällig.

Der Kampf der gesellschaftlichen Minderheiten um gleiche Rechte berührt die demokratische Substanz unserer Gesellschaft. Er sollte ein gemeinsames Anliegen der Bürgerrechtsbewegung sein. Hier ist ein Bereich, in dem die gesellschaftliche Zustimmung zu bürgerrechtlichen Positionen offensichtlich wächst. Hier können wir mit unserer Forderung nach mehr Liberalität, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit endlich einmal in die Offensive kommen.