Grundrechte-Report 1997

Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland

hrsg. von Till Müller-Heidelberg, Ulrich Finckh, Wolf-Dieter Narr und Marei Pelzer
Redaktion: Paul Ciupke, Norbert Reichling, Jürgen Seifert und Eckart Spoo
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1997, ISBN 3-499-22124-1, 247 Seiten, 14,90 DM

 

Sabine Kriechhammer-Yagmur

Grenzenlose Liebe: Binationale Ehen und staatliche Ausländerpolitik

Grundrechte-Report 1997, S. 90-94

Ehen über alle Grenzen sind in Deutschland nichts Besonderes mehr. Über 50000 Deutsche haben 1995 Partnerinnen oder Partner aus einem anderen Land geheiratet, mehr als eine halbe Million waren es in den letzten 16 Jahren. Binationale Paare gehören zum Alltagsbild dieser Gesellschaft. Und dennoch beklagt der Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf) die heimliche Abschaffung von Grundrechten. Warum?

Der in Artikel 6 Grundgesetz garantierte Schutz von Ehe und Familie ist in Konkurrenz zu einer restriktiven Zuwanderungspolitik geraten. Ausländerpolitische Entscheidungen werden auf der Verwaltungsebene umgesetzt, unterhalb einer Gesetzes- oder Verfassungsänderung und unbemerkt von allen, die nicht unmittelbar beteiligt sind. Dieses Verwaltungshandeln anzugreifen ist schwierig. Es mündet nämlich nicht etwa in rechtsmittelfähigen Bescheiden (die man juristisch überprüfen kann), sondern in individuellen Verzögerungs- und Verhinderungsstrategien, die schwer beleg- und nachweisbar sind. Die Betroffenen wissen in den allerwenigsten Fällen, was man ihnen eigentlich vorwirft. Das verstärkt das Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins.

Denn der Antrag auf Einreise und Aufenthalt gleicht einem Hindernislauf, an dessen Ende man atemlos zusammenbricht: Ausländische Urkunden, die zur Eheschließung in Deutschland verlangt werden, müssen von den übergeordneten Behörden im Heimatland der ausländischen Verlobten beglaubigt und von der dortigen deutschen Botschaft legalisiert werden. Dieser Verwaltungsakt beinhaltet nicht nur die Prüfung von Papier, Unterschriften, Stempeln und Siegeln, sondern geht mit einer inhaltlichen Überprüfung der Urkunden einher, die die iaf ablehnt. Zum Beispiel verlangen die deutschen Botschaften in Lagos und Islamabad zur Glaubhaftmachung der Urkunden immer wieder neue Dokumente. Gleichzeitig gehen die Botschaften davon aus, daß Urkunden in diesen Ländern sehr häufig gefälscht werden. Deshalb halten sie oft zur weiteren Überprüfung das Einschalten eines sogenannten Vertrauensanwalts für unerläßlich. Dessen Bemühungen müssen die Ehewilligen teuer bezahlen: 400 bis 700 Mark Gebühren sind die Regel, gleichgültig, wie das Ergebnis der Nachforschungen ausfällt. Betroffene berichten immer wieder, daß die Methoden dieser Anwälte die Annahme zulassen, sie hätten den Auftrag, das zu bestätigen, was die deutsche Botschaft offensichtlich unterstellt hat: Betrugsabsichten. Die Vertrauensanwälte arbeiteten gegen statt für sie, besuchten Standesämter und Kirchengemeinden, fragten Nachbarn und Verwandte der ausländischen Verlobten aus.

Nicht selten kann ein Paar nicht heiraten, weil Dokumente fehlen oder veraltet sind, oder aber, weil eine Duldung in Deutschland abläuft. Die Eheschließung in einem europäischen Nachbarland scheitert meistens an dessen ausländerrechtlichen Bestimmungen. Ausländerinnen und Ausländer, die sich illegal in Deutschland aufhalten, haben überhaupt keine Möglichkeit, hier zu heiraten. Denn ausländerrechtliche Regelungen zwingen die deutschen Standesämter, den illegalen Aufenthalt eines Verlobten unmittelbar der Ausländerbehörde zu melden.

Was bleibt, ist die Eheschließung im Herkunftsland der ausländischen Partnerin oder des Partners. Hier geht der Hürdenlauf weiter: Nach der Eheschließung muß die Heiratsurkunde wiederum der deutschen Auslandsvertretung zur Legalisation vorgelegt und ein Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung beantragt werden. Letzterem muß die Ausländerbehörde in Deutschland zustimmen. Auch dieser Verwaltungsakt eröffnet zahlreiche Möglichkeiten der Diskriminierung und Verzögerung. Bei ehemaligen Asylbewerbern wird häufig die Identität in Frage gestellt. Anstatt die Betroffenen mit diesem Verdacht direkt zu konfrontieren, wählen die Botschaften öfter den versteckten Weg: Wieder werden Vertrauensanwälte eingeschaltet und/oder zusätzliche Unterlagen verlangt. Oder es finden Befragungen des Ehepaares statt, zum Beispiel nach dem Ort und den Umständen des Kennenlernens, dem Entscheidungsprozeß für die Eheschließung.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als arbeiteten Ausländerbehörde und deutsche Botschaften nicht selten mit vereinten Kräften daran, positive Entscheidungen möglichst lange hinauszuzögern. Wenn nämlich ein Beamter die Vermutung hegt, die Ehe diene lediglich der Aufenthaltsbeschaffung für den ausländischen Partner, dann kommt der sogenannte Scheinehenverdacht zum Zuge. Genährt wird dieser Verdacht aus subjektiven, oft nicht nachvollziehbaren persönlichen Wertungen der Sachbearbeiter - oder einem in der Behörde üblichen und abgesprochenen Verdachtsmomente-Katalog. In diesem können größere Altersunterschiede (natürlich nur: ältere Frau und jüngerer Mann) ebenso auftauchen wie der Umstand, daß die ausländischen Partnerinnen oder Partner als Asylsuchende oder zum Studium eingereist waren. Einmal geäußert, hält sich ein solcher Verdacht hartnäckig. Die Motive der Eheschließung müssen nun also ermittelt werden. Eigens dafür entwickelte profunde Fragen wie: "Wer hat das Brautkleid gekauft?", "Wer hat wem den Heiratsantrag gemacht?", "Haben Sie Geld für die Eheschließung erhalten?" oder "Haben Sie gemeinsame Hobbys?" sollen den Sachverhalt erhellen.

Betroffene berichten, daß die deutsche Botschaft in Lagos sich auch schon Hochzeitsvideos und Fotos zeigen ließ, die die Eheschließung glaubhaft machen sollten.

Einige Ausländerbehörden ermitteln - ähnlich wie die Vertrauensanwälte im Ausland - lieber gleich vor Ort: bei den Betroffenen, ihren Nachbarn, Familienangehörigen oder Arbeitgebern. Getrennte Befragungen der Paare sind auch hier die Regel. Diese Ermittlungen sind peinlich, erniedrigend und diskriminierend, belasten die Beziehung und können letztendlich nur in sehr wenigen Fällen nachweisen, daß die Ehe ausschließlich zum Zweck der Aufenthaltserteilung geschlossen worden ist.

Bis zu zwei Jahren kann die Prozedur dauern, bis alle Unterlagen geprüft und legalisiert sind und der Einreise nichts mehr im Weg steht. Wird diese lange Durststrecke überstanden, werten die Behörden dies wahlweise als Beweis besonderer Liebe - oder als besonders hohes Maß an krimineller Energie.

Einreise und Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sind allerdings noch immer keine Garantie für ein von den Behörden unbehelligtes Eheleben. Nun beginnt der dritte Teil des Hürdenlaufs: Bei jeder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und auf jeden Fall vor Erteilung eines eigenständigen unbefristeten Aufenthaltsrechts schauen die Behörden nochmals genauer hin: Lebt das Paar in ehelicher Gemeinschaft oder nicht? Indikatoren dafür können neben anonymen Hinweisen auch getrennte Wohnsitze oder Arbeits- und Studienplätze an unterschiedlichen Orten sein. Befragungen, Hausbesuche, getrennte Interviews sind auch hier wieder die Methoden, mit denen die Behörden oft arbeiten.

Das hier beschriebene Behördenhandeln ist mit den gesetzlich garantierten Grundrechten unvereinbar. Es erklärt Menschen in binationalen Partnerschaften zu potentiellen Kriminellen. Die Folgen der Unfähigkeit des Staates, der Zuwanderung durch angemessene Gesetzgebung Rechnung zu tragen, werden auf den einzelnen abgewälzt, der seine Eheschließungsmotive rechtfertigen muß.

Dieses Vorgehen widerspricht nicht nur Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz, es ist auch rechtsstaatswidrig. Es ist beschämend und entwürdigend für die Betroffenen. Es verstößt gegen die Menschenwürde, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gegen den Schutz von Ehe und Familie. Dagegen wehrt sich die iaf als Lobbyorganisation der Binationalen in Deutschland. Daß es heutzutage als verdächtig gilt, sich auf Grundrechte zu berufen, weist Heribert Prantl, diesjähriger Kurt-Tucholsky-Preisträger, in seiner Dankesrede zur Preisverleihung trefflich nach. Darin beschäftigt er sich mit dem "Standort Deutschland", dem Abbau demokratischer Rechte und dem damit einhergehenden Mißbrauchsvorwurf. Er bringt die aktuelle Entwicklung auf den Nenner: "Wer sich auf seine Grundrechte und Grundfreiheiten beruft, der macht sich neuerdings verdächtig. Ein guter Standort-Bewohner hat das nämlich nicht nötig. Er hat nichts zu verbergen und nichts zu befürchten. Wer sich auf seine Rechte beruft, der wird schon wissen, warum. Er ist per se ein Risiko."

 

Literatur:

"Im siebtenÜü-Himmel. Die heimliche Abschaffung eines Grundrechts. Wie binationale Eheschließungen und Familienzusammenführungen verhindert werden".

Die iaf-Broschüre ist zum Preis von DM 4,- zuzüglich Porto zu beziehen bei: iaf e. V.; Kasseler Str. 1a, 60486 Frankfurt/Main, Fax: 069/7075092.