Grundrechte-Report 1997

Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland

hrsg. von Till Müller-Heidelberg, Ulrich Finckh, Wolf-Dieter Narr und Marei Pelzer
Redaktion: Paul Ciupke, Norbert Reichling, Jürgen Seifert und Eckart Spoo
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1997, ISBN 3-499-22124-1, 247 Seiten, 14,90 DM

 

Jürgen Roth

Die Militärseelsorge: Eine feste Burg im Dunkel der Verfassungswidrigkeit

Grundrechte-Report 1997, S. 210-215

Als die Regierung Adenauer 1950 im Gefolge des Koreakrieges mit der Wiederbewaffnung die politische Westintegration der Bundesrepublik vorantrieb, gab es in allen Teilen der Gesellschaft erbitterte Widerstände gegen diesen Plan. Für die Durchsetzung dieser Aufrüstungspläne der Bundesregierung war die Haltung der beiden großen christlichen Kirchen angesichts ihrer moralischen Autorität von herausragender Bedeutung; die Kirchen waren erstaunlicherweise von der allgemeinen Vertrauenskrise nach der Niederlage des Nationalsozialismus unberührt geblieben. Der katholischen Kirche war es gelungen, sich in ihrer Gesamtheit als Gegnerin des Nationalsozialismus von Anfang an hinzustellen. Die evangelischen Kirchen waren hier wesentlich selbstkritischer, denn sie konnten zumindest auf die Bekennende Kirche verweisen. Während sich die katholische Kirche sehr schnell zu Wiederbewaffnung und Militärseelsorge bekannte, führte diese Frage im Jahre 1957 fast zum Bruch in der EKD. Die folgenden Diskussionsprozesse haben in der Frage der Militärseelsorge geradezu eine Verschmelzung von staatlichen und kirchlichen Interessen bewirkt - und damit ein Verfassungsproblem, das hier skizziert werden soll.

 

Evangelische Militärseelsorge

 

Die Auseinandersetzung über die Militärseelsorge erreichte ihren Höhepunkt anläßlich der Unterzeichnung des Militärseelsorgevertrages am 22.Februar 1957. Lange wurde in den 50er Jahren über den Status der evangelischen Militärpfarrer diskutiert. Die Auseinandersetzungen waren so heftig, daß der Zusammenhalt der evangelischen Kirchen ernsthaft gefährdet war. Nur mit Verfahrenstricks konnte sich die Kirchenobrigkeit seinerzeit in der Synode durchsetzen. Nach der Vereinigung der Bundesrepublik mit der DDR am 3.Oktober 1990 brach diese alte Kontroverse in der evangelischen Kirche erneut voll aus.

Mit dem Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR vom 31.August 1991 wurde den neuen Bundesländern auch das Gesetz über die Militärseelsorge erst einmal übergestülpt. Gegen dieses Diktat erhob sich freilich der Widerstand der acht Gliedkirchen des Bundes der Evangelischen Kirchen auf der Synode im September 1990 in Leipzig. In einem Schreiben an den Generalinspekteur der Bundeswehr vom 20.Dezember 1990 schrieb der damalige Bischof Gottfried Forck, "daß ich für unseren Bereich in der ehemaligen DDR voraussetzen mußte, daß die bisher bei der Nationalen Volksarmee diensttuenden Soldaten einer intensiven marxistischen Schulung und Feindpropaganda unterworfen waren. Da in unserem Bereich nur etwa ein Viertel der Soldaten noch Christen sind, andererseits aber die Tendenz zu kollektiver Angleichung sehr groß ist, muß damit gerechnet werden, daß drei Viertel der Soldaten die seelsorgerische und christliche Unterweisung als eine nur pflichtweise anstelle der marxistischen Schulung durchgeführte Aktion ansehen werden."

Die östlichen Gliedkirchen hatten verlangt, daß Militärpfarrer nicht Bundesbeamte, sondern Pfarrer im unmittelbaren Dienst der Evangelischen Kirche in Deutschland sein sollten. Das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr sollte in das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland eingegliedert und vom evangelischen Militärbischof geleitet werden. Die Verwaltung des Sonderhaushaltes evangelische Militärseelsorge sollte in das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland integriert werden. Es verdient aber Beachtung, daß sich die Synode der EKD am 10.11.1994 immerhin genötigt sah, den Rat der EKD mit Verhandlungen über einen Kompromiß zu beauftragen; die Landeskirchen sollten entscheiden, ob Militärpfarrer Bundesbeamte oder ausschließlich kirchliche Bedienstete sein sollten.

Letztlich konnten sich die östlichen Gliedkirchen der EKD nicht durchsetzen. Ausschlaggebend für das Einknicken der Gliedkirchen des ehemaligen Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik gegenüber der Bundesregierung war der schnöde Mammon. 1993 erhielt die evangelische Militärseelsorge 27 Millionen Mark aus der Bundeskasse. In einem Sonderetat des Militärbischofs werden außerdem 29 Millionen Mark aus Kirchensteuergeldern der Soldaten verwaltet. Der Bund hatte ein Druckmittel gegenüber der Kirche in der Hand. Wäre der Militärseelsorgevertrag gekündigt worden, hätte die Bundesregierung die Zahlungen eingestellt. EKD-Repräsentanten haben auch nie einen Hehl aus ihrer Sorge gemacht, daß dann im Bundestag das gesamte Staat-Kirche-Verhältnis auf den Prüfstand gekommen wäre - Kirchensteuer und Dotationen inbegriffen.

Am 12.Juni 1996 unterschrieben unter dem Blitzlicht der Presse der EKD-Vorsitzende Engelhard und Verteidigungsminister Rühe die Rahmenvereinbarung über die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Ländern. Die Bundesregierung gestand zwar zu, daß abweichend vom Militärseelsorgevertrag von 1957 die Pfarrer im Dienst der EKD stehen, sie werden allerdings im Einvernehmen mit dem Verteidigungsminister ernannt. Die Personalkosten werden mit Ausnahme der Versorgungsanteile aus dem Bundeshaushalt erstattet, einschließlich personeller und materieller Unterstützung durch Pfarrhelfer und Dienstfahrzeuge. Dieses Abkommen ist bis zum Ende des Jahres 2003 befristet. Verteidigungsminister Rühe erklärte anläßlich der Unterzeichnung, er sei sicher, daß die "bewährte Form der evangelischen Militärseelsorge" nach dieser Übergangszeit in ganz Deutschland wirksam werde.

So wenig spektakulär das Ergebnis also ist - die Diskussion innerhalb der evangelischen Kirchen - auch in den westlichen Kirchen - verdient dennoch Beachtung. Sie hat zwar den Abschluß der Rahmenvereinbarung nicht verhindert, wenigstens aber eine vorübergehende Sonderregelung für den Osten hervorgebracht.

Es zeigt sich an diesem Beispiel aber auch die Schwierigkeit, auch nur einen Teilbereich der völlig verkrusteten Gemengelage staatlicher und kirchlicher Bereiche zu entflechten, ohne das morsche Gebälk in seiner Gesamtheit zum Einsturz zu bringen. Eine befriedigende Lösung ist nur auf der Grundlage einer gesellschaftlichen Debatte über die Trennung von Staat und Kirche zu erreichen. Im Interesse aller Beteiligten, nicht zuletzt der Kirchen selbst, darf diese Diskussion nicht immer weiter auf die lange Bank geschoben werden.

 

Katholische Militärseelsorge

 

Anders als in den evangelischen Kirchen ist die Haltung der katholischen Amtskirche recht einheitlich. Dafür sorgt nicht zuletzt die Person des Bischofs Johannes Dyba. Er wurde eigens vom Papst in dieses Amt berufen. Grundlage für diesen auf den ersten Blick ungewöhnlichen Entscheidungsweg ist das Reichskonkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem "Heiligen Stuhl" vom 20.Juli 1933. Dieser einzige noch gültige völkerrechtliche Vertrag Hitlers regelt bis heute die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland mit dem Papst.

Der Aufbau der katholischen Militärseelsorge entspricht überwiegend der evangelischen Struktur. Abweichungen gibt es bei den Amtsbezeichnungen. Dem evangelischen Kirchenamt entspricht das katholische Militärbischofsamt. Der Militärdekan heißt auf katholischer Seite Militärgeneralvikar. Die staatlichen Leistungen für die katholische Militärseelsorge entsprechen den Vereinbarungen im Militärseelsorgevertrag mit der EKD.

Zur Wahrnehmung der zentralen Aufgaben der katholischen Militärseelsorge existiert am Sitz der Bundesregierung das Katholische Militärbischofsamt (KMBA). Diese Institution ist zugleich Generalvikariat des katholischen Militärbischofs und staatliche Bundesoberbehörde. An der Spitze dieser Sphinx steht der Militärbischof als Chef einer kirchlichen Stelle und einer staatlichen Behörde. Dementsprechend ernennt der Militärbischof einen Generalvikar zum Leiter seiner Kurie, während ihn der Bundesverteidigungsminister auf Vorschlag des Militärbischofs zum Militärgeneralvikar und damit zum Leiter des KMBA als Bundesbehörde ernennt. Für die Leitung, Ordnung und wirksame Gestaltung der Seelsorge ist das katholische Militärbischofsamt dem Militärbischof verantwortlich. In der Wahrnehmung von staatlichen Verwaltungsaufgaben, die mit der Militärseelsorge zusammenhängen, untersteht der Leiter des Katholischen Militärbischofsamtes dem Bundesminister der Verteidigung.

 

Militärseelsorge: jenseits der Verfassung

 

Die katholische Amtskirche und die Mehrheit der evangelischen Kirche begründen die Militärseelsorge mit Artikel 141 der Weimarer Verfassung, der über Artikel 140 des Grundgesetzes Bestandteil unserer Rechtsordnung geworden ist. "Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist." In der Tat haben auch Soldaten nach Artikel 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Ihr Recht auf ungestörte Ausübung ihrer Religion - oder Weltanschauung - darf nicht eingeschränkt werden. Aus gutem Grund ist in Artikel 17a GG, der die Einschränkung von Grundrechten für Soldaten regelt, Artikel 4 nicht genannt. Eine ganz andere Frage ist aber, ob der religiöse und weltanschaulich neutrale Staat eine institutionalisierte Militärseelsorge überhaupt einrichten darf. Gerade die Verbeamtung der kirchlichen Funktionsträger in diesem Bereich verstößt gegen das Gebot der Trennung von Staat und Kirche in Artikel 137 Abs. 1 der Weimarer Verfassung (in Verbindung mit Artikel 140 des Grundgesetzes). Das Verbot der Staatskirche wird durchbrochen. Es nützt in diesem Zusammenhang wenig, wenn die führenden Staatskirchenrechtler dieses Landes beteuern, die Militärseelsorge sei gar keine staatskirchliche Einrichtung. Wo gibt es aber eine engere Verfilzung von Staat und Kirche als gerade dort, wo kirchliche Würdenträger zu Beamten gemacht und als staatskirchlicher Doppelkopf das theologische Fundament für den Kirchgänger in Uniform schaffen? Die Vermischung staatlicher und kirchlicher Angelegenheiten fällt besonders beim "Lebenskundlichen Unterricht" auf, den die Militärgeistlichen neben ihrer eigentlichen seelsorgerischen Arbeit halten müssen. Es ist völlig ungeklärt, ob das nun ein staatlicher oder ein kirchlicher Unterricht ist. Es fragt sich auch, ob er ein freiwilliger Unterricht oder eine Veranstaltung im Rahmen des Dienstes ist. Letztlich schlüpft der Pfarrer aber in die Rolle des staatlichen Lehrers.

Ein Verstoß gegen das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates liegt auch in der Instrumentalisierung der kirchlichen Seelsorge für militärische Zwecke. Die vom Dietrich-Bonhoeffer-Verein schon 1987 bekanntgemachten Fälle des "Aussortierens mißliebiger Militärpfarrer" zeigen den tieferen Sinn der Allianz von Staat und Kirche im Bereich der Militärseelsorge: Die Stärkung des Glaubens als Voraussetzung bürgerlicher Tugendhaftigkeit und soldatischen Gehorsams ist die gemeinsame Arbeitsgrundlage beider Partner. Mit dem Verbot der Nichtidentifikation im Grundgesetz hat diese Praxis freilich nichts zu tun.

Aussicht auf einen Wandel in der herrschenden juristischen Lehrmeinung gibt es allerdings nicht. Sie sieht nicht das geringste Problem in dem institutionellen Zusammenwirken von Staat und Kirche. Das grundgesetzliche Verbot der Einrichtung eines konfessionellen Staatsamtes (U. K. Preuß) wird nur von wenigen anerkannt. Diese ideologische Schlagseite des sogenannten Staatskirchenrechts ist leicht erklärbar. Fast alle Gelehrten, die sich mit diesem etwas exotischen Rechtsgebiet befassen, sind auf das engste mit einer der beiden großen Kirchen verbunden oder leiten gar die zuständigen kirchenrechtlichen Abteilungen. Es drängt sich die - für die Kirchen peinliche - Parallele zu anderen von Interessengruppen geprägten Rechtsgebieten wie dem Versicherungsrecht auf. Böse Zungen sagen, daß die Interessenten ihre herrschende Meinung im eigenen Haus verfassen. Andere Auffassungen wie die des verstorbenen Erwin Fischer, die mit der grundgesetzlichen Vorgabe der Trennung von Staat und Kirche ernst machten, werden bis heute von den linientreuen Professoren kaum zur Kenntnis genommen.

Die vorgebrachte Kritik an der Militärseelsorge sollte aber niemanden dazu verleiten, den Kirchen das Recht abzustreiten, in der Gesellschaft zu wirken und ihre Positionen zu vertreten. Selbstverständlich haben auch Soldaten und Kriegsdienstverweigerer einen Anspruch auf seelsorgerische Betreuung oder Kontakt mit Weltanschauungsgemeinschaften. Dazu müssen die Pfarrer aber keine Beamten sein - sie können auch ohne Anbindung an die Hierarchie der Bundeswehr und die Einbindung in deren politischen Auftrag ihre Arbeit machen. Um endlich Veränderungen zu bewirken, müssen kritische Christinnen und diejenigen, die sich von den Kirchen abgewandt haben, einen Dialog beginnen und ihre Berührungsängste überwinden. Sonst bleibt die Militärseelsorge neben vielen anderen Relikten des Staatskirchenrechts noch lange eine feste Burg im Dunkel der Verfassungswidrigkeit.